Haushaltsrede zur ersten Lesung des Haushalts 2014

Steffen AndreaeIm Wortlaut die Rede des Fraktionsvorsitzenden Steffen Andreae anlässlich der ersten Lesung des Haushalts 2014:

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

eine erste Lesung ermöglicht es, dass wir Zeit haben, nicht nur über die Details zu sprechen, sondern auch über die Situation insgesamt.

Der ehemalige Bürgermeister der Stadt Mühlheim und heutige geschäftsführende Direktor des hessischen Städte- und Gemeindebundes Karl-Christian Schelzke meinte neulich in Bad Emstal an die anwesende Gemeindevertretung gerichtet:

„Sie müssen den Bürgern die Wahrheit sagen.“

Das hört sich ein bisschen so an, als hätten wir das bislang nicht getan.

Ich habe Herrn Schelzke gefragt, was er denn mit „Wahrheit“ meint:

„Die Bürgerschaft muss “schonungslos” über die kommunalen Finanzen vor Ort unterrichtet werden. Meiner Erfahrung nach gewinnt die örtliche Politik hierdurch an Glaubwürdigkeit zurück, weil die Menschen durchaus bereit sind, die Wahrheit nicht nur zu erfahren, sondern sie erwartet diese auch.  Die Bürgerschaft ist durchaus bereit, an Lösungen mitzuwirken, wenn man sie “ernst” nimmt. Ihre Vorschläge dürfen dann jedoch nicht unkommentiert in Schubladen verschwinden. Durch bürgerschaftliches Engagement lassen sich die kommunalen Finanzprobleme jedoch alleine nicht lösen. Eine ausreichende Finanzausstattung durch des Land ist unverzichtbar. Ein ehrenamtsförderndes Klima schafft Identität und ist die Grundlage einer aktiven Bürgergesellschaft, die sich der Nöte vor Ort annimmt. Grundsätzlich: Man kann nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger sparen, sondern nur mit ihnen; deshalb ist eine aktive Einbeziehung der Bürgerschaft unbedingt erforderlich.“


Ein Teil der Wahrheit ist die Situation heute. Diese findet sich ja umfangreich im Haushaltsentwurf für 2014 festgeschrieben. Sicherlich ist es nicht für alle gleich gut zu lesen, aber hier steht auf jeden Fall eine Wahrheit.

Ein anderer Teil der Wahrheit hat damit zu tun, was auf uns zu kommt. Und genau hier fände ich einen Austausch sehr wichtig. Denn die Schritte, die wir heute einleiten, dürfen nicht losgelöst sein, von einer kommenden Entwicklung und daher müssen wir uns auch damit beschäftigten, was so auf uns zukommt. Zwar ist es nicht unsere Aufgabe, die Zukunft vorherzusagen. Aber es ist sehr wohl unsere Aufgabe, auf sie vorbereitet zu sein.

Eine Wahrheit ist zum Beispiel, dass seit vielen Jahren eine verschärfte Umverteilungspolitik betrieben wird. Der wohlhabende Teil der Bevölkerung sichert sich seine Privilegien, die Koalitionäre betreiben eine Steuersenkungspolitik, die für öffentliche Investitionen und sozialen Ausgleich keinen Spielraum lässt.

Eine Wahrheit ist, dass die kommunale Selbstverwaltung grundgesetzlich verbrieft ist. Soll sie nicht inhaltsleer werden, müssen Bund und Land die Kommunen mit den entsprechenden Finanzmitteln ausstatten, um dem Auftrag des Grundgesetzes nach kommen zu können. Eine kommunale Selbstverwaltung, deren Gestaltungsspielraum eingeschränkt ist, kann die Daseinsfürsorge für ihre Bürger und Bürgerinnen nur sehr eingeschränkt oder gar nicht wahrnehmen. Wir, die Gemeindevertretung, müssen nun den Menschen immer wieder erklären, dass Einschnitte im Bereich Soziales, Kultur etc. vorgenommen werden, um die Selbstverwaltung zu erhalten.

Das ist absurd und macht deutlich: Mängelverwaltung wird als Gestaltungsspielraum verkauft. Damit ist die kommunale Selbstverwaltung inhaltsleer.

Eine Wahrheit ist auch, dass die Landes- und die Bundesregierung noch weitere Aufgaben an uns delegieren werden und dass es eben keinesfalls so ist, dass der bezahlt, der bestellt. Dabei ist es gleichgültig, ob das im Gesetz steht oder nicht.

Daher schlagen wir vor, dass wir uns als Gemeindevertretung laut und öffentlich gegenüber Wiesbaden und Berlin äußern. Wenn wir gemeinsam deutlich machen, dass die Bedingungen unter denen wir eine kommunale Selbstverwaltung organisieren sollen, nicht akzeptabel sind, dann haben wir weiterhin nicht mehr Geld in der Tasche. Und doch erscheint uns dieser laute Schritt so nötig wie noch nie und wir machen unsere Zustimmung zum Haushalt 2014 auch davon abhängig, ob wir in dieser Sache zu einem mehrheitlich getragenen Votum kommen.

Es gibt aber auch andere Wahrheiten:

Wir leben in einem Ort, in dem sich weit über 1000 Menschen ehrenamtlich engagieren. Wir haben eine Kultur der Beteiligung. Wir trafen uns in dieser Woche noch mit den Elternbeiräten und haben mit ihnen über ihre Vorschläge zu Veränderungen an den Kitas gesprochen, manches davon haushaltsrelevant. Für mich war dabei auch die Selbstverständlichkeit interessant, mit welcher uns die Mitarbeit der Eltern angeboten wurde.

Doch wir werden die Finanzmisere nicht lösen können, wenn die Weichenstellung nicht an ganz anderer Stelle verändert wird. Das nimmt uns aber nicht die Aufgabe, diesen Ort zu gestalten. Wenn keine Mittel mehr da sind, dann ist Mitarbeit gefragt. Das verlangt aktive Einbindung, das verlangt, dass wir alle gemeinsam dafür Werben.

Das heißt auch auszusprechen, dass die Kasse leer ist.
Und das heißt auch, deutlich zu machen, an welchen Stellen wir selbst nicht verantwortlich sind. Und das wiederum bedeutet, dass wir die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.

Derzeit befinden wir uns in der Situation, dass von einer schiefen Ebene die Kugeln immer wieder herunterrollen und wir – mit aller Kraft und Phantasie, die wir haben – diese Kugeln wieder in Position bringen. Dabei wäre es kraftschonender würden wir uns daran machen, die Ebene wieder gerade zu rücken.

Ich möchte diese Überlegungen zur aktuelle Situation und passend zur kommenden Weihnachtszeit mit einem Zitat des derzeitigen Papstes beenden, da er ebenfalls der Ansicht ist, dass grundsätzlich Ebenen verschoben werden müssen. Auch wenn folgendes vielleicht so klingt, als wäre es aus der Feder eines linken Kämpfers der alten Schule, lassen sie sich bitte nicht täuschen. Das ist die Position von Papst Franziskus:

„Ebenso wie das Gebot „du sollst nicht tö­ten“ eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Ungleichheit der Einkom­men“ sagen. Diese Wirtschaft tötet.

Ei­nige verteidigen noch die Theorien, die davon ausgehen, dass jedes vom freien Markt begünstigte Wirtschaftswachstum von sich aus eine größere Gleichheit und soziale Einbindung in der Welt hervorzurufen vermag. Diese Ansicht, die nie von den Fakten bestätigt wurde, drückt ein undifferenziertes, naives Ver­trauen auf die Güte derer aus, die die wirtschaft­liche Macht in Händen halten.

Während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, sind die der Mehrheit im­mer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glück­lichen Minderheit. Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autono­mie der Märkte und die Finanzspekulation ver­teidigen. Darum bestreiten sie das Kontrollrecht der Staaten, die beauftragt sind, über den Schutz des Gemeinwohls zu wachen. Die Schulden und ihre Zinsen entfernen die Länder von den praktikablen Möglichkeiten ihrer Wirtschaft und die Bürger von ihrer realen Kaufkraft. Die Gier nach Macht und Besitz kennt keine Grenzen. In diesem System, das dazu neigt, alles aufzusaugen, um den Nutzen zu steigern, ist alles Schwache wie die Umwelt wehrlos gegenüber den Interes­sen des vergöttlichten Marktes, die zur absoluten Regel werden.
Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation verzichtet und die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte in Angriff nimmt, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen und kann letztlich überhaupt kein Problem gelöst werden. Die Ungleichvertei­lung der Einkünfte ist die Wurzel der sozialen Übel.“

Schreibe einen Kommentar