Konkurrenz um Neubürger

Dieser Artikel ist schon Anfang 2012 geschrieben worden. Anlässlich der zweiten Bürgerbeteiligungsphase zur Bebauung um den Kreisel veröffentlichen wir ihn nochmals.

In einer Sitzung Anfang 2012 wurde von Seiten der CDU davon gesprochen, dass es richtig und wichtig für Kaufungen sei, in Konkurrenz um Neubürger mit anderen Gemeinden zu treten. Die Grüne Linke Liste Kaufungen spricht sich deutlich gegen diese Haltung aus, welche ökologisch und ökonomisch, darüber hinaus aber auch unter sozialen Gesichtspunkten nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist.

Richtig schreibt die Bundestagsfraktion von  Bündnis90/Die Grünen dazu folgendes: “Zunehmende Siedlungsfläche bedeutet unmittelbaren und dauerhaften Verlust der ökologischen Funktionen der Böden. Intakte Böden müssen mit ihren vielen Schnittstellen zu Wasser, Luft und Klima sowie als Standort für Lebens- und Futtermittel im Zentrum einer vorsorgenden Umweltpolitik stehen. Zunehmen werden früher zusammenhängende Lebensräume für Flora und Fauna durch Siedlungstätigkeiten zerschnitten. Neue Wohn- und Gewerbegebiete in dezentrealen Lagen erzeugen mehr Verekehr und tragen somit zu einer höheren Umweltbelastung bei. Neben den ökologischen Folgen des Flächenverbrauchs wird vermehrt über die ökonomischen Folgen diskutiert. Dabei geht es im Wesentlichen um die Kosten für Infrastruktur bei der Errichtung neuer Baugebiete, aber auch deren Betrieb, Unterhaltung und Instandsetzung.” Also um die Infrastrukturfolgekosten. Langfristige Forderung muss sein, den zusätzlichen Flächenverbrauch auf Null Hektar zu senken, “denn nur so kann ein Mindesmaß der Landfläche Deutschlands für die Nutzung durch andere lebende Arten als den Menschen bewahrt werden.” (ebenfalls BT-Fraktion Bündnis90/Die Grünen)

Die hna schrieb dazu am 13.3.12:

hna 13.3.12

Man müsste, um diese Konkurrenz gewinnen zu können, in Kauf nehmen, dass es anderen Gemeinden – insbesondere den östlicher gelegenen – dann möglicherweise nicht mehr oder noch weniger gelingt, die eigene Infrastruktur aufrecht zu erhalten. In einer aktuellen Erklärung schreibt die CDU Kaufungen dazu folgendes:

Eine Verbesserung der Einnahmesituation sollte nach Meinung der CDU über die positive Bevölkerungsentwicklung in Kaufungen erreicht werden. Es kann nicht sein, dass wir in unserer Gemeinde die Infrastruktur bereitstellen, z.B. Straßenbahn, Kindergärten usw. und der „Zuzug” aber in unseren Nachbargemeinden erfolgt. Die uns so z.B. verloren gehenden Schlüsselzuweisungen, sind schwer an anderer Stelle zu generieren. Hier müssen die bestehenden Entwicklungsmöglichkeiten in Kaufungen dringend genutzt werden, Kaufungen darf hier den Anschluss nicht verpassen.

Die bestehenden Entwicklungsmöglichkeiten zu nutzen, kann unserer Ansicht nach nur bedeuten, im Bestand zu arbeiten und kann sich nicht auf die Neuausweisung von Baugebieten beziehen. Hierbei stellt sich natürlich die Frage, wie es gelingen kann, die Vorteile der Innenentwicklung gegen die Skepsis und gegen die alten Denkmuster erfolgreich zu kommunzieren? Bürgermeister Klaus Lütkefedder (CDU Bürgermeister in Wellmerod) meint dazu:

Es macht keinen Sinn, die Ortskerne veröden zu lassen und weiter Geld in immer mehr Infrastruktur zu stecken.

Auch Lütkefedders Kollege Jürgen Lübbers (SPD Bürgermeister in Barnstorf) hat dies erkannt:

 Ich habe auch lange Zeit an der Vorstellung festgehalten, wir müssten großzügig Bauland ausweisen, um als Kommune konkurrenzfähig zu bleiben. Bis mir klar wurde, dass wir uns damit die Zukunft verbauen. (Quelle AKP 3/12)

Die Folge einer Politik der permanenten Konkurrenz wäre nämlich zwangsläufig, dass die Kreisumlage steigt, denn die reicheren Kommunen tragen zum Teil die ärmeren Kommune mit. Wir haben die CDU Kaufungen angefragt, ob sie uns Beispiele dafür nennen kann, wo sich die Verbesserung der Einnahmesituation durch den Zuzug in neue Baugebiete verbessert hat. (Angefragt am 13.3.12 – jedoch keine Antwort. Dem Umstand, dass es keine Antwort gibt, könnte als Erklärung zu Grunde liegen, dass es diese Beispiele überhaupt nicht gibt.)

Viele Städte und Gemeinden unterschätzen die Kosten für die Einrichtung neuer Wohngebiete. Durch den Druck aufgrund einer knappen Kassenlage meinen manche, um neue Einwohner werben zu müssen und so die Einkommenssteuereinnahmen erhöhen zu können. Aufgrund einer schonenden Flächenpolitik wird ein Standortnachteil vermutet.

Bei den bei der CDU Kaufungen angefragten Beispielen geht es uns um die Erkenntnis, in welchen Beispielen die Aufwendungen für die Ausweisung und Erschließung neuer Baugebiete durch die positive Bevölkerungsentwicklung ökonomisch aufgefangen wurde. Die Ergebnisse aus der Refina-Forschung (gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung) sprechen eine eindeutige – andere – Sprache. Im Handbuch für nachhaltiges Flächenmanagement heißt es zu der Frage, ob sich eine Neuausweisung “lohnt” (S. 346):

Kommunen haben bei Neuausweisungen diverse Erschließungs- und Infrastrukturfolgekosten zu tragen, die den fiskalischen Anreiz einer Neuausweisung meistens bis zur Unvorteilhaftigkeit verringern. Die Einfamilienhaussiedlung auf der Grünen Wiese mit Kosten für äußere Erschließung und soziale Infrastruktur ist für alle untersuchten 375 Gemeinden ein Verlustgeschäft.

Im Kapitel: Folgen der bisherigen Kostenintransparenz (S. 315f.) heißt es:

Ein Großteil der neu ausgewiesenen Siedlungsflächen ist noch immer gering in den Siedlungsbestand integriert. So grenzt nur ein Viertel neuer Siedlungsflächen direkt an den Siedlungsbestand. So sind neue Baugebietsausweisungen in der Regel auch mit der Neuschaffung bzw. Erweiterung von technischen und sozialen Infrastrukturen verbunden. Das kommunale Einnahmensystem in Deutschland orientiert sich stark an den Bevölkerungszahlen der Gemeinden und entscheidet damit über deren finanzielle Handlungskraft. Daher konkurrieren die Kommunen untereinander um Einwohner, und hier insbesondere um junge Familien.

Dieser Konkurrenzkampf resultiert aus der Erwartung, über hinzugewonnene Einwohner die Einnahmen der kommunalen Haushalte unter anderem durch erhöhte Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich, durch erhöhte anteilige Einkommensteuer sowie durch die Grundsteuer zu steigern. Der demografische Wandel verschärft diesen Konkurrenzkampf um junge, gut verdienende Einwohner nochmals.

Mit der Ausweisung neuer Baugebiete werden auch neue technische (teils netzgebundene) und ggf. soziale Infrastrukturen geschaffen bzw. bestehende Infrastrukturen erweitert. Zum Teil reagieren Gemeinden auf die drohende oder bereits eingetretene Unterauslastung von Infrastrukturen wie z.B. Kindergärten oder Grundschulen mit der weiteren Ausweisung von Wohnbauflächen. Je nach Entwicklungsdynamik (wachsend oder schrumpfend) wollen sie damit der Abwanderung bzw. der Abschwächung von Wanderungsgewinnen sowie der Überalterung der Bevölkerung entgegenwirken. Die Annahmen bezüglich Zuwanderung von Neu-Einwohnern, daraus resultierenden Steuermehreinnahmen sowie einer raschen Aufsiedlung neuer Baugebiete sind dabei oft recht optimistisch. Das langsame „Voll-Laufen“ neuer Baugebiete belastet die Gemeindehaushalte zusätzlich, da Kosten der Baureifmachung und der Erschließung häufig vorfinanziert werden müssen.

In vielen Kommunen besteht das Problem, dass sich neue Baugebiete aufgrund der demografischen Entwicklung nicht wie in der Vergangenheit vollständig besiedeln lassen. Dies führt zu einer verschärften Konkurrenz um diese Zielgruppe, was sich nur zum Teil in einer hohen Qualität ausgewiesener Flächen niederschlägt (Qualitätswettbewerb), meist aber in der Ausweisung von noch mehr Neubaugebieten äußert (Mengenwettbewerb).

Betram Hilgen (Oberbürgermeister Stadt Kassel) und Udo Schlitzberger (Landrat Landkreis Kassel a.D.) schrieben zu diesem Thema (Quelle):

Die Basis dieses regionalen De­­mografienetzwerks ist, dass sich Stadt und Kreis als eine Region begreifen, die gemeinsam Lösungs­an­sätze entwickelt. Nicht in Konkurrenz um den Einkom­mensteuer zahlenden Neu­bürger, sondern in Diskussion um ein zu­­kunftsfähiges regionales Ent­wick­­lungs­konzept, welches das Oberzentrum in seiner Leis­tungsfähigkeit sichert und die Lebens­qualität in den Kom­munen in der Fläche erhält.

Das Bayrische Landesamt für Umwelt äußert sich wie folgt (Quelle):

Viele kommunale Aufgabenstellungen werden künftig nicht mehr ohne interkommunale Zusammenarbeit effizient und kostengünstig zu lösen sein. Auf der anderen Seite verhindert die Konkurrenz der Kommunen um die Ansiedlung von Neubürgern und Gewerbe eine zweckmäßige interkommunale Koordinierung der Siedlungsentwicklung. Um die Flächensparpotenziale tatsächlich auszuschöpfen und sich gleichzeitig an die ökonomischen und demographischen Entwicklungen anzupassen, wird eine Zusammenarbeit der Kommunen bei der Siedlungsentwicklung, Gewerbeansiedlung und bei der Infrastrukturentwicklung notwendig sein. Die kooperative Abstimmung der Flächennutzungsplanung ist somit eine wesentliche Voraussetzung für zukunftsfähige Regionen.

Und die Bund-/Länder- Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz schrieb 2010 anlässlich der Umweltministerkonferenz (Quelle):

Mit ihren Baulandausweisungen verfolgen die Kommunen auch fiskalische und kommunalentwicklungspolitische Ziele, häufig in Konkurrenz zueinander um zusätzliche Einwohner und Arbeitsplätze. Dabei kommt es insbesondere darauf an, Infrastrukturinvestitionen so zu dimensionieren, dass sie einerseits dem Bedarf der künftigen Bevölkerung entsprechen, andererseits aber auch peripheren Räumen Entwicklungschancen eröffnen.
Da die Aufrechterhaltung bestehender, teils durch den  demografischen Wandel bereits überdimensionierter Strukturen sehr kostenintensiv ist, wird die Ausweisung von Flächen einschließlich der notwendigen Erschließung/Infrastruktur in  vom demografischen Wandel besonders betroffenen Regionen  zum Ausnahmefall.
Detaillierte Berechnungen zeigen, dass ein flächiges  Siedlungswachstum nach außen bis zum Dreifachen der Infrastrukturkosten verursacht, die eine nach innen gerichtete Siedlungsentwicklung erfordern würde. Damit wird deutlich, dass auch gemeindeinterne Suburbanisierung je nach ihrer konkreten siedlungsstrukturellen Ausprägung erhebliche
lmplikationen für den Kommunalhaushalt hat.

Zum Abschluss nochmal die hna vom 13.3.12 und der Kommentar zum obigen Artikel:

hna 13.3.12