Schwarze Angst vor grüner Gefahr
Franz Walter – Frankfurter Rundschau

FR 29.6.11

Die Union war immer nur vermeintlich bürgerlich. Bündnisse mit den neubürgerlichen Grünen sind darum ein riskantes Spiel.

Es hat sich herumgesprochen: Im Jahr 2011 ist keine Partei bürgerlicher als die Grünen. Die Grünen sind die Partei der Beamten und Angestellten im höheren öffentlichen Dienst. Nur hier kommen sie in etwa auf den Umfang einer Volkspartei, soweit man deren Größe bei 35 Prozent plus x ansetzt. Jedenfalls stehen die Grünen jetzt da, wo sich etliche Jahrzehnte zuvor noch die Liberalen in Deutschland platziert hatten: in der arrivierten Mitte der besser Gebildeten und besser Verdienenden.

Dabei haben die Grünen die freidemokratischen Bürger weit hinter sich gelassen haben. Bei den formal Hochgebildeten kamen sie zuletzt in Baden-Württemberg auf 34 Prozent, in Bremen auf 32 Prozent der Stimmen, die CDU lag drei beziehungsweise 13 Prozentpunkte dahinter, während die Freien Demokraten im Ländle gar mit 28 und in der Hansestadt mit 29 Punkten Abstand zur marginalen Kraft der Bildungsbürgerlichkeit herabgesunken sind. Mehrheitsfähig waren die Parteien des „altbürgerlichen Lagers“ nur noch jenseits des „Altbürgertums“. Man hat in der Tat die überlieferten Zuschreibungen gründlich zu überdenken.

So nehmen auch die Erhebungen nicht wunder, wonach die postmaterialistischen Menschen der Republik in kommoder Eintracht mit ihren eigenen materiellen Existenzen leben. Jüngste Göttinger Untersuchungen zu den verschieden grün angehauchten Wutbürger-Initiativen brachten ebenfalls ans Licht, dass es sich überwiegend um den Protest hoch saturierter Menschen handelte, die ihre Einkommens-, Wohn- und Freizeitverhältnisse außerordentlich hoch ein- und wertschätzen.

In echtem und tiefem Gegensatz zu dieser Gesellschaft stehen die Grünen natürlich nicht. Nirgendwo sonst fällt in den vergangenen Jahren das Veto gegen einen weiteren Ausbau sozialer Rechte für die unteren Schichten so entschieden aus wie bei den Postmateriellen. Auch der früher betont hochgehaltene Unterschied im Habitus zwischen Jungbürgern konservativer Fasson und Jungbürgern anfangs alternativer Manier hat sich rundum abgeschliffen.

Dies alles mag für die politische Reintegration des deutschen Bürgertums in einer erweiterten bürgerlichen Koalition sprechen. Das Problem besteht allerdings darin, dass die Christliche Union in ihrer Gesamtheit eben nie genuin bürgerlich war, dass sie sehr viel weniger großstädtisch, postindustriell, sozial privilegiert und säkularisiert ist wie das neue Pendant der Grünbürger. Die Heimaten der Union liegen heute stärker denn je im ländlichen Bereich, in kirchennahen Schichten, bei Älteren, unverdrossenen Anhängern von Ordnungswerten sowie – keineswegs zuletzt – gering verdienenden „kleinen Leuten“.

Und deshalb müssen die Christdemokraten achtgeben. Die Grünen sind wirklich bürgerlich, durch und durch sogar – und daher gefährlich. Der Elitismus der Grünen hat bereits die Sozialdemokraten während der Koalition Schröder-Fischer von den Arbeitern und unteren Mittelschichten anhaltend entfremdet. Dergleichen müssten Politiker der Union fürchten, sollten sie auf Premieren und Vernissagen bei vorzüglichen Rieslingen und exquisiten Barolos in der urbanen Beletage der deutschen Gesellschaft die frisch entdeckte Neubürgerlichkeit kulturell kreieren und hernach politisch exekutieren wollen.

Franz Walter ist Politologe und Direktor des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. www.demokratie-goettingen.de